Macht braucht Kontrolle: Die SPD als profilierte Opposition
SPD-Plakat zur Landtagswahl 1978
(Archiv der Sozialen Demokratie)
Weder die gesellschaftspolitischen Erfolge bei den Volksbegehren der 60er Jahre noch die politische Aufbruchstimmung der 70er Jahre konnten die politische Übermacht der CSU brechen. Die Ergebnisse der Landtagswahlen eröffneten der SPD trotz erneuter Zugewinne Mitte der 90er Jahre keine Regierungsperspektive. Entschlossen nahm die bayerische SPD im Landtag ihre Oppositionsrolle wahr. Mit Hilfe parlamentarischer Untersuchungsausschüsse gelang es, das von teils unfassbaren Skandalen geprägte Machtgebaren der CSU aufzuklären. Gesellschaftlich brisante Themen wie die zunehmende Kritik an der Nuklearwirtschaft konnten von der SPD in den Landtag getragen werden. Mittels einer umfassenden Parteireform gelang es zudem, die bayerische SPD schlagkräftiger zu machen und weiter zu öffnen.
Wider den Amigo-Sumpf
SPD-Plakat zur Landtagswahl 2003
(Archiv der Sozialen Demokratie)
Unter der Führung des neuen SPD-Frakionsvorsitzenden Helmut Rothemund wurde der parlamentarische Untersuchungsausschuss als ein wichtiges Instrument der politischen Machtkontrolle wiederbelebt. Nach heftigen Auseinandersetzungen mit der CSU gelang es durch eine Klage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof, die Kontrollrechte des Parlaments zu stärken. In den Folgejahren nutzte die SPD-Landtagsfraktion die Untersuchungsausschüsse für unterschiedlichste Themen: So gelang es, einen Ausschuss zur geplanten atomaren Wiederaufbereitungsanlage im oberpfälzischen Wackersdorf durchzusetzen. Besondere Bedeutung erlangte das Instrument während der 1993 und 1994 aufgedeckten Amigo-Affäre. Die kritischen Recherchen brachten damals ein System der Gefälligkeitswirtschaft zum Vorschein, in das führende CSU-Politiker verwickelt waren. Der CSU-Ministerpräsident Streibl und die CSU-Minister Gauweiler und Tandler konnten zum Rücktritt gezwungen werden.
SozialdemokratInnen bei einer Demonstration gegen die WAA
(Reinhold Strobel, privat)
Die SPD als prägende Kraft gesellschaftlicher Debatten
SPD-Plakat zur Landtagswahl 2008
(Archiv der Sozialen Demokratie)
Auch als Oppositionskraft prägte die SPD gesellschaftliche Debatten maßgeblich mit. Die von der SPD unterstützten Proteste gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf erhielten durch die nukleare Katastrophe von Tschernobyl im Jahre 1986 zusätzliche Brisanz. Nur knapp drei Wochen nach dem Unfall forderte der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Karl-Heinz Hiersemann im Bayerischen Landtag den Ausstieg aus der Kernenergie. Hatte die SPD sich noch in den 50er und 60er Jahren für die friedliche Nutzung der Kernenergie eingesetzt, begann bereits während der 70er Jahre ein Umdenkprozess, der die Gefahren der Kernenergie neu bewertete. Als 1998 mit Gerhard Schröder wieder ein Sozialdemokrat Kanzler wurde, konnte die SPD den Ausstieg aus der Kernenergie beschließen.
Über die Landespolitik hinaus profilierte sich die bayerische SPD stets auch bei bundespolitischen Themen. In den 80er Jahren engagierten sich viele bayerische SozialdemokratInnen gegen die Nachrüstung der NATO. 1992 lehnte der bayerische SPD-Landesparteitag nach heftiger Diskussion den sogenannten Asylkompromiss ab. Auch die 1998 gewählte rot-grüne Koalition wurde von bayerischen Sozialdemokraten geprägt, stammten doch neben Staatsministern und Staatssekretären mit Otto Schily und Renate Schmidt wieder zwei prominente BundesministerInnen aus Bayern.
Bayerische SozialdemokratInnen sahen es zudem als Aufgabe, über die Unterstützung der Regierungspolitik hinaus auch kritische Impulse zu setzen. Um eine breite innerparteiliche Diskussion über die sozial- und arbeitsmarktpolitischen Veränderungen anzustoßen, die die Regierung Schröder mit der Agenda 2010 bezweckte, initiierten bayerische JungsozialistInnen das erste Mitgliederbegehren in der Geschichte der SPD an.
Reform und Öffnung der SPD
SPD-Plakat zum 100-jährigen Jubiläum der bayerischen SPD
(Archiv der Sozialen Demokratie)
Unter dem Vorsitz von Renate Schmidt gelang zudem eine umfassende Parteireform. Als eine Ursache für die schlechten Wahlergebnisse der bayerischen SPD wurde nämlich der Umstand ausgemacht, dass die CSU als Landespartei über einen mächtigen Parteiapparat verfügte, während in der bayerischen SPD drei regionale Bezirke dominierten. Die Organisationsreform stärkte deshalb den Landesverband der bayerischen SPD. Darüber hinaus wurden in Partei und Fraktion zahlreiche Initiativen zur weiteren Öffnung der SPD vorangetrieben. Auf allen Ebenen wurde das Gespräch mit Initiativen und Verbänden aber auch Selbständigen und Unternehmern gesucht. Wahllisten der Partei wurden für Nichtmitglieder geöffnet. Die Landtagsfraktion schuf mit dem „Treffpunkt Landtag“ eine Veranstaltungsreihe, um den Austausch mit Gruppen und Initiativen zu fördern. Einmal mehr erwies sich die bayerische SPD zudem als Vorkämpferin für die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Frauen: Nach langer Vorarbeit der AsF verpflichtete sich selbst, bei alle Plätze auf Wahllisten abwechselnd mit Frauen und Männer zu besetzen.
Chronik-Tour
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Dokumente
Zeittafel
1982
Ende der sozialliberalen Koalition
1989
Die SPD beschließt ihr Berliner Programm
Mauerfall
1990
Deutsche Wiedervereinigung
1991
Renate Schmidt wird als erste Frau Vorsitzende der bayerischen SPD
1998-2005
Rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder
Wahlwerbung von Gerhard Schröder
(Archiv der Sozialen Demokratie)2007
Die SPD beschließt das Hamburger Programm
2008
Die CSU verliert die absolute Mehrheit in Bayern.