Verantwortung für ein demokratisches Bayern

Bild 050: Die Viererkoalition unter Wilhelm Hoegner [Bildarchiv Bayerischer Landtag]
Die Viererkoalition unter Wilhelm Hoegner
(Bildarchiv Bayerischer Landtag)

Mit der Übergabe Berchtesgadens an die US-amerikanischen Truppen wurde Bayern am 4. Mai 1945 endgültig von der nationalsozialistischen Herrschaft befreit. Noch im gleichen Jahr übernahmen die SozialdemokratInnen Bayerns die Regierungsverantwortung und standen vor schier unlösbaren Aufgaben: Viele bayerische Städte waren während des Zweiten Weltkriegs teils völlig zerstört worden. Die Bevölkerung, die durch den Zustrom von fast zwei Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen weiter anwuchs, musste mit Nahrung und Wohnraum versorgt werden. Die Entnazifizierung der Bevölkerung sollte vorangetrieben und die Grundlagen für einen demokratischen Neuanfang geschaffen werden. Gerade mit der Entnazifizierungspolitik des zunächst zum bayerischen Ministerpräsidenten ernannten Fritz Schäffer war die amerikanische Militärregierung jedoch nicht einverstanden war. Deshalb wurde er am 28. September 1945 durch den Sozialdemokraten Wilhelm Hoegner ersetzt. Mit einer Unterbrechung von drei Jahren bestimmte die SPD nun bis 1957 die Regierungspolitik in Bayern mit.

Die Gründung eines demokratischen Bayerns

Bild 052: SPD-Plakat zur Wahl des Verfassungesgebenden Landesausschusses [Archiv der Sozialen Demokratie]
SPD-Plakat zur Wahl des Verfassungesgebenden Landesausschusses
(Archiv der Sozialen Demokratie)

Die Regierung Hoegners, an der nach Auflage des amerikanischen Militärs alle politischen Richtungen einschließlich der Kommunisten beteiligt wurden, setzte sich ehrgeizige Ziele. Die Entnazifizierung und Wiedergutmachung gehörten ebenso dazu wie die Wiederherstellung eines bayerischen demokratischen Staates und der Neuaufbau des Parlamentarismus. Die Selbstverwaltung der Gemeinden sollte gestärkt und das Schulwesen neu aufgebaut werden. In der Landwirtschaft strebte die Regierung Hoegner neben dem Ausbau des Genossenschaftswesens die Hebung der Kulturverhältnisse auf dem Lande an, unter anderem durch Landwirtschaftslehrer und durch die Einrichtung von Kulturzentren. Die Wirtschaft sollte als Planwirtschaft auf genossenschaftlicher Grundlage gestaltet werden.

Grundlegendes Anliegen Hoegners war von Anfang an die Demokratisierung der Regierungspolitik. Da es zunächst keinen bayerischen Landtag gab, schuf Hoegner 1946 den Bayerischen Beratenden Landesausschuss. Dieses Gremium sollte vor dem Erlass wichtiger Gesetze und zum Haushaltsplan angehört werden. Der Landesausschuss setzte sich aus Vertretern von Parteien, Berufsständen, Hochschulen, Kirchen, Städten, Landkreisen und Gemeinden zusammen. Parallel tagte ein Vorbereitender Verfassungsausschuss, der die im Juni 1946 landesweit gewählte Verfassungsgebende Landesversammlung vorbereitete. Bereits im Oktober 1946 konnte ein maßgeblich von Wilhelm Hoegner geprägter Verfassungsentwurf verabschiedet werden, der im Dezember durch einen mit den ersten freien Landtagswahlen abgehaltenen Volksentscheid angenommen wurde.

Wiederaufbau der bayerischen Sozialdemokratie

Bild 054: Gaststätte Moosburger Hof in Paffenhofen, Ort der Wiedergründung der bayerischen SPD [Bildarchiv Robert Hofmann]
Gaststätte Moosburger Hof in Paffenhofen, Ort der Wiedergründung der bayerischen SPD
(Bildarchiv Robert Hofmann)

Mit dem gesellschaftlichen Aufbauwerk ging auch die Wiedergründung der bayerischen Sozialdemokratie einher. Ein Großteil der lokalen sozialdemokratischen FunktionärInnen hatte es vermocht, die NS-Diktatur vor Ort zu überstehen. Bereits zu einem Zeitpunkt, als Parteien noch gar nicht wieder zugelassen waren, wollten diese SozialdemokratInnen die Parteiarbeit wieder aufnehmen. Vielerorts wurden SozialdemokratInnen, die als Gegner der Nationalsozialisten bekannt waren zu Bürgermeistern oder in andere öffentliche Ämter berufen.

Auch auf Landesebene schritten die Bemühungen um die Wiedergründung der Sozialdemokratie voran. Bereits im November 1945 hatten sich die bayerischen Sozialdemokraten zu einer – wegen des allgemeinen Parteienverbots noch illegalen – Landeskonferenz in Pfaffenhofen getroffen. Knapp einen Monat, nachdem die SPD im Januar 1946 wieder zugelassen worden war, fand – ebenfalls in Pfaffenhofen – die formal erste Landeskonferenz der bayerischen SPD statt. Wilhelm Hoegner wurde zum Vorsitzenden eines zunächst provisorischen Landesvorstands gewählt.

Demokratisierung und Wohnungsbau: Erfolge in der Regierungspolitik

Bild 049: Der Aufbauplan A der bayerischen SPD
Der Aufbauplan A der bayerischen SPD

In den ersten Stunden des Wiederaufbaus eines demokratischen Bayern hatten die bayerischen SozialdemokratInnen eine zentrale Rolle gespielt. Bei den ersten freien Landtagswahlen im Jahre 1946 schlug sich dieses Engagement jedoch nicht positiv auf das Wahlergebnis der SPD nieder. Während die neu gegründete CSU die absolute Mehrheit gewann, erlangten die Sozialdemokraten lediglich 28,6 Prozent. Die Spaltung der CSU in einen konservativ-klerikalen und einen liberaleren Flügel führte jedoch dazu, dass sich die Christlich-Sozialen zunächst nicht auf einen Ministerpräsidenten einigen konnten. Als Kompromisskandidat konnte schließlich Hans Ehard gefunden werden. Er wurde von der SPD-Fraktion mitgewählt und strebte angesichts der großen Herausforderungen der Nachkriegszeit eine große Koalition unter Einbeziehung der WAV an.

Die SPD besetzte mit den Ministerien für Inneres, Justiz, Arbeit und Wirtschaft zentrale Positionen. Dennoch gelang es der CSU, die SPD zu immer neuen Zugeständnissen zu nötigen. Gegen den Willen der SPD führte sie beispielsweise die Prügelstrafe in Schulen wieder ein. Die zunehmende innerparteiliche Kritik an der Regierungspolitik führte im Mai 1947 zunächst zur Ablösung Hoegners als SPD-Landesvorsitzender und zur Wahl Waldemars von Knoeringen. Im August 1947 zog sich die SPD schließlich aus der Großen Koalition zurück und setzte verstärkt auf außerparlamentarische Aktivitäten. Unter anderem wurde ein spektakulärer Plan zum Wiederaufbau Bayerns entworfen, der auf einer Massenkundgebung öffentlichkeitswirksam vorgestellt wurde.

Bild 051: Flugblatt der SPD zur Landtagswahl 1950 [Archiv der Sozialen Demokratie]
Flugblatt der SPD zur Landtagswahl 1950
(Archiv der Sozialen Demokratie)

Als die CSU bei der Landtagswahl von 1950 dramatisch an Zustimmung verlor, kam es zu einer Neuauflage der Großen Koalition unter Führung von Hans Ehard. Mit drei Ministerien (Inneres, Finanzen, Arbeit) vertreten, gelang es der SPD unter den veränderten Bedingungen, entscheidende Fortschritte bei der Demokratisierung Bayerns durchzusetzen. Bürgermeister sollten auf kommunaler Ebene fortan direkt gewählt werden. Um die Entscheidungen von kommunalen Parlamente transparenter zu machen, wurde die offene Abstimmung eingeführt. Mit ihrer Forderung nach Volksentscheiden auf kommunaler Ebene konnte sich die SPD hingegen nicht durchsetzen. Durch die Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens wurde der Einfluss der BürgerInnen auf die Zusammensetzung der Kommunalparlamente jedoch erheblich erweitert. Im Bereich des sozialen Wohnungsbaus gelang es, die Erstellung von jährlich über 35.000 Wohnungen zu fördern.

Fortschritt für Bayern: Die Viererkoalition

Bild 053: SPD-Plakat zu den Landtagswahlen 1954 [Archiv der Sozialen Demokratie]
SPD-Plakat zu den Landtagswahlen 1954
(Archiv der Sozialen Demokratie)

Nach den Landtagswahlen von 1954 konnte die SPD nochmals für drei Jahre den bayerischen Ministerpräsidenten stellen. Der CSU, die bei den Landtagswahlen die mit Abstand stärkste Partei geworden war, gelang es nicht, eine Koalition zu bilden. Waldemar von Knoeringen schmiedete in dieser Situation, eine Koalition mit der Bayernpartei, der FDP und dem BHE. Rasch erreichte die Regierung Hoegner wichtige Erfolge: So wurde die überparteiliche politische Bildungsarbeit institutionalisiert, die Förderung von Wissenschaft und Hochschulen wurde ausgebaut. Unter anderem gelang es, in München das Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik anzusiedeln. In der Annahme, eine sichere und friedliche Nutzung der Kernenergie sei möglich und schaffe die Grundlage für die weitere Industrialisierung Bayerns, wurde auch die Einrichtung des ersten deutschen Versuchs-Amtomreaktors in Garching als Erfolg gefeiert. Die günstige Konjunktur ermöglichte es zudem, das Programm für den sozialen Wohnungsbau erheblich auszuweiten. Darüber hinaus konnte auch der Naturschutz mit zusätzlichen Finanzmitteln ausgestattet werden. Erhaltenswerte, jedoch von Bebauung bedrohte Gebiete sollten aufgekauft werden. Das Ziel, die Lehrerbildung an Pädagogische Hochschulen zu verlagern und die Lehrer fortan nicht mehr nach religiösem Bekenntnis getrennt auszubilden, scheiterte hingegen am Widerstand der katholischen Kirche.

Das Ende der Vierer-Koalition wurde durch das schlechte Abschneiden der Bayernpartei und des BHE bei der Bundestagswahlen von 1957 verursacht. Aus Furcht, auch bei den bayerischen Landtagswahlen 1958 entsprechende Verluste zu erleiden, traten die Minister beider Parteien aus der Regierung Hoegner aus und zwangen die SPD zum Wechsel in die Opposition. In ihrer kurzen Regierungszeit hatte die bayerische SPD den demokratischen Wiederaufbau Bayerns entscheidend geprägt.

  • 1945-1946

    Wilhelm Hoegner ist der erste sozialdemokratische Ministerpräsident der Nachkriegszeit in Bayern

  • 1946

    Wiederzulassung der bayerischen SPD

    Verabschiedung der Bayerischen Verfassung

  • 1946-1947

    Große Koalition in Bayern unter Ministerpräsident Ehard

  • 1948

    Gründung der Georg-von-Vollmar-Schule in Kochel

    Bild 055: Die Georg-von-Vollmar-Akademie in Kochel am See [Gemeinfrei]
    Die Georg-von-Vollmar-Akademie in Kochel am See
    (Gemeinfrei)

  • 1949

    Verabschiedung des Grundgesetzes

    Die CDU gewinnt die Bundestagswahl

  • 1950

    Die SPD wird bei der bayerischen Landtagswahl stärkste Partei; erneut Große Koalition unter Ministerpräsident Ehard

  • 1954-1957

    Viererkoalition aus SPD, FDP, Bayernpartei und BHE unter Ministerpräsident Hoegner